Wir glauben Ihnen nicht!

WIR GLAUBEN IHNEN NICHT!
Offener Brief anlässlich 10 Jahre „Missbrauchsskandal“ am Aloisiuskolleg in Bonn

27. Januar 2020

Sehr geehrter Herr Pater Löwenstein,

im Jahr 2010 begann der „Missbrauchsskandal“ in Berlin mit einem Brief und dem Satz „Wir glauben Euch“. Zehn (!) Jahre später, im Dezember 2019, schreiben Sie uns auch einen Brief. Im Namen der Mitglieder des ECKIGER TISCH BONN, Verein Geschädigter des Aloisiuskollegs zu Bonn-Bad Godesberg e.V. schreiben wir Ihnen zurück:

WIR GLAUBEN IHNEN NICHT!

Es ist unseres Erachtens erbärmlich, dass Sie sich nach 10 Jahren „Missbrauchsskandal“ ohne nennenswert gezogene Konsequenzen seitens der Jesuiten mit einem so „dünnen“ Schreiben an Betroffene wenden.
2010 war der Skandal das Bekanntwerden der Vielzahl der Jesuiten und Mitarbeiter, die in 40 Jahren davor am AKO Missbrauch an schätzungsweise hunderten Kindern und Jugendlichen begingen. Bis heute stellen Sie den Schutz der Anonymität Ihrer kriminellen Mitbrüder über die Wahrheitsfindung für deren Opfer: Bis heute haben Sie die Klarnamen der zumeist lange verstorbenen Täter aus den Dokumentationen des Ordens nicht veröffentlicht.
Die Namen der verantwortlichen Patres am AKO und im Orden, die seit 2010, seit zehn Jahren, für eine umfassende Aufarbeitung und einen angemessenen Ausgleich mit den Betroffenen hätten leisten müssen (oder können), kennen wir. Sie lauten: Schneider, Rabe, Siebner, Löwenstein als AKO-Rektoren und Dartmann, Kiechle und nochmal derselbe Siebner als Ordensobere. Bei so vielen Kapazitäten kann es kein Zufall sein: Dass wir heute stehen, wo wir stehen, haben diese Männer zu verantworten! Zeit, Mittel und Möglichkeiten hatten sie (und im Übrigen auch Pater Mertes) genug. Wir glauben Ihnen nicht (mehr), dass Sie wirklich aufarbeiten und ausgleichen können oder/und wollen. Das ist der Skandal im Jahr 2020!
Wir betrachten ihr jetziges Schreiben als ein Täuschungsmanöver für die Öffentlichkeit und ein Feigenblatt, das das Scheitern der Jesuiten und des Aloisiuskollegs bei der Aufarbeitung des Missbrauchs pünktlich zur nun zu erwartenden Medienöffentlichkeit verdecken soll. Wir lesen Ihre Worte auch als

Ihren (erneuten) Versuch, Betroffene und einen möglichen „Dialog“ für Ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Um es noch einmal klar zu sagen: Die letzten 10 Jahre haben uns gezeigt, dass die Jesuiten und das Aloisiuskolleg entweder nicht Willens oder nicht dazu in der Lage sind, eine umfassende Aufarbeitung zu leisten. In beiden Fällen muss unserer Ansicht nach seitens Dritter/des Staates (nach-)geholfen werden. Das Aloisiuskolleg bzw. der Jesuitenorden als Schulträger, erhält jedes Jahr Millionen öffentliche Steuergelder zur Aufrechterhaltung Ihrer Einrichtung (allein Privatschulfinanzierung NRW: 2015-2018 über 20 Mio. EUR*) mit nach wie vor fragwürdigen Moralvorstellungen und Machtstrukturen und ausschließlich von diesen definierten Aufarbeitungsformen. Ohne diese Mittel gäbe es Ihre Schule nicht. Deshalb sind wir der Meinung, dass Sie bzw. der Orden nicht nur den Opfern, sondern auch der Gesellschaft gegenüber moralisch dazu verpflichtet sind, Rechenschaft über die Gründe des jahrzehntelangen Leitungsversagens Ihrer Institution und Organisation abzulegen und daraus öffentlich nachvollziehbare Konsequenzen zu ziehen. Sie aber lassen die Betroffenen, für die der Missbrauch oft mit lebenslangen Folgen verbunden ist, auch nach 10 Jahren bei allen wichtigen Fragen im Regen stehen. Das zeigt uns, dass die Jesuiten eher Teil des Problems und nicht der Lösung sind. Sie brauchen offensichtlich Druck und Hilfe!
Was ist in den letzten 10 Jahren geschehen?
Der Orden hat zwei AKO-Berichte (Zinnsmeister, Bintig) vorgelegt. Diese dokumentieren lediglich einen Teil der Übergriffe auf Schutzbefohlene. Sie sind Sammlungen von Betroffenenberichten zum damals Zielpunkt und keine Erforschung. Hinzu kommt: Viele Fälle aus Schule, Internat und Ako-Pro kommen aus diversen Gründen nicht vor. Ereignisse, die nach Erscheinen dieser Dokumente bekannt wurden (z. B. die Vergewaltigung eines Schülers durch zwei Jesuiten am AKO in Tateinheit; weitere Berichte Betroffener und Zeugen) sind bislang in keinem wissenschaftlichen Bericht erwähnt. Nicht-sexuelle d. h. körperliche und seelische Gewalt an SchülerInnen zu allen Zeiten sowie Suizide wurden bislang nicht durch unabhängige Dritte untersucht. (Da Sie das Internat, glücklicherweise, 2018 schließen mussten, besteht – wie nach 2010 gelernt- die Gefahr, dass Beweismittel und Informationen mit der Zeit verschwinden können und dann für eine Berichtslegung nicht mehr zur Verfügung stehen.) Handlungsempfehlungen der Wissenschaftler in den Berichten wurden ignoriert, sodass es wohl auch deshalb 2017 zu einem erneuten mutmaßlichen Übergriff durch einen Mitarbeiter Ihres Hauses an Schutzbefohlenen kommen konnte. Dass Sie im letzten Jahr einen neuen Präventionsleitfaden vorlegten, erscheint uns eher wirtschaftlich motiviert und vor allem hinsichtlich der Tatsache notwendig gewesen zu sein, dass der Protagonist von 2017 am vorherigen mitgeschrieben hatte. Dass Sie, wie die FAZ am 19.04.2019 berichtete, im Vorwort zunächst keine Jesuitenpatres als historische Täter erwähnen, zeigt die bereits oben erwähnte Unwilligkeit oder Unfähigkeit die die Geschichte ins heute zu tragen. Die Expertise von Betroffenen haben Sie unseres Wissens nach bei der Überarbeitung des Präventionsleitfadens nicht angefragt. Warum auch? Es reicht ja, dass Jesuiten am Werk sind!
Dass Sie beispielsweise – sehr aktuell – in Ihrer Kommunikation im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Jugendheims in Cassel die – in Ihren eigenen oben benannten Berichten dokumentierte – dramatische Missbrauchshistorie mit keinem Wort erwähnen (und unsere diesbezüglichen Zitate aus den Berichten in den Social Media gelöscht wurden) spricht weder für Sie als verantwortlich handelnde und vertrauenswürdige Führungsperson noch für Ihre Bereitschaft, sich im Jahr 2020 der ganzen Wahrheit der Geschichte Ihres Kollegs und Ordens zu stellen.
Alle nennenswerten Initiativen zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals gingen bislang von Betroffenen und/oder dem Druck der Öffentlichkeit aus. Die sogenannte „Dialogrunde“ am AKO, die Ihr Vorgänger so trefflich vor allem für seine eigenen Ziele in Sachen Öffentlichkeitsarbeit und Karriere nutzen konnte und der Sie zunächst Ihren Stempel aufdrücken wollten, ist zum Erliegen gekommen. Zur sogenannten „Ako

Erklärung“, die damals wegweisend und Pionierarbeit in Sachen Aufarbeitung war, hatten wir, die Betroffenen, die Entwürfe geliefert. Leider hat sich die Schule seit Ihrem Vorgänger auf diesen Worten ausgeruht. Die Mitgliederversammlung des ECKIGER TISCH BONN e.V. hat im Dezember 2017 den Dialog mit Ihrem Orden bis auf Weiteres für gescheitert erklärt. Der Grund hierfür ist Ihnen ein seit vielen Jahren bekanntes Paket ungeklärter Fragen an das AKO und den Orden, deren nachhaltige und nachprüfbare Bearbeitung Sie und der Provinzial Siebner uns und der Öffentlichkeit bis heute schuldig geblieben sind:
Gerne helfen wir Ihnen auch noch einmal mit einer aktualisierten Auswahl von 13 Punkten in der Anlage auf die Sprünge. Zum Beispiel:

Welche Konsequenzen hat der Vertuscher und Mitwisser P. Schneider seitens des Ordens zu erwarten oder warum gab es bislang keine? Dass die letzten drei Ordens-Provinziale 10 Jahre lang zu Schneiders Rolle als verantwortlichem AKO-Rektor und dem Zusammenhang zu den Erkenntnissen der Wissenschaftler zum Pseudonym „Pater Hans“ als Zeuge und Mitwisser des Sexualtäters Pater Stüper in einer öffentlichen Stellungnahme namens des Orden schweigen (oder Schneider sogar das Vertrauen aussprachen), zeigt eigentlich schon alles, was man 2020 bezüglich zur Aufarbeitung am Aloisiuskolleg wissen muss!
Welche Konsequenzen hätten Sie, der heutige Rektor, ordensseitig zu erwarten, wenn Sie so handeln würden wie P. Schneider, damals und heute? Auch keine? Wer übernimmt also Verantwortung bei den Jesuiten? Wann?
Wann also, Pater Löwenstein, übernehmen Sie, übernimmt Ihr Orden, in diesen Fragen Verantwortung aus der Vergangenheit? Sollten Sie – vielleicht innerhalb der nächsten 10 Jahre – substanzielle oder neue oder überhaupt Antworten zu diesen Fragen erarbeitet haben, sähen wir eine Grundlage für Gespräche gegeben – allerdings nicht zu Ihren sehr durchschaubar formulierten Bedingungen.
Bis dahin wirken Ihre bisherigen Bemühungen, wie Ihr Anliegen vom 10. Dezember 2019, verglichen mit dem „Workload“, den Sie binnen der letzten Dekade, sei es aus Unwillen oder Unfähigkeit, nicht erledigt haben, vergleichsweise dünn und billig.
gez.
Heiko Schnitzler
Vorsitzender
gez.
Christian Brüser
Stellvertretender Vorsitzender
gez.
Patrick Bauer
Mitglied u. Sprecher des Betroffenenbeirates im Erzbistum Köln
PS: Wir möchten Sie bitten, sich mit Anschreiben unmittelbar an Betroffene zurückzuhalten. Wie jetzt im Dezember bei mehreren geschehen, erreichen Sie Betroffene oft in „schwierigen“ Lebenssituationen (für die Ihre Mitbrüder verantwortlich sind). Ungefragte Post vom Aloisiuskolleg mit Ihren Anliegen kann sich negativ auf ihren Gesundheitszustand auswirken. Auch das sollten Sie eigentlich in den letzten 10 Jahren gelernt haben. Betroffene haben sich im ECKIGER TISCH BONN organisiert, diesen können Sie erreichen. Bitte respektieren Sie das.
* https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-5261.pdf#search=Aloisiuskolleg

  1. Anlage zum Offener Brief anlässlich 10 Jahre „Missbrauchsskandal“ am Aloisiuskolleg in Bonn:
    Welche Konsequenzen hat der Vertuscher und Mitwisser P. Schneider seitens des Ordens zu erwarten oder warum gab es bislang keine? Dass die letzten drei Ordens-Provinziale 10 Jahre lang zu Schneiders Rolle als verantwortlichem AKO-Rektor und dem Zusammenhang zu den Erkenntnissen der Wissenschaftler zum Pseudonym „Pater Hans“ als Zeuge und Mitwisser des Sexualtäters Pater Stüper in einer öffentlichen Stellungnahme namens des Orden schweigen (oder Schneider sogar das Vertrauen aussprachen), zeigt eigentlich schon alles, was man 2020 bezüglich zur Aufarbeitung am Aloisiuskolleg wissen muss!
    Welche Konsequenzen hätten Sie, der heutige Rektor, ordensseitig zu erwarten, wenn Sie so handeln würden wie P. Schneider, damals und heute? Auch keine? Wer übernimmt also Verantwortung bei den Jesuiten? Wann?
  2. Wann veröffentlichen Sie die Klarnamen der zumeist lange verstorbenen Täter (bezogen auf die Berichte Raue, Zinsmeister, Bintig)? Was haben Sie zu vertuschen? Warum behindern Sie/der Orden hierdurch immer noch die Aufarbeitung und den Austausch über die Wahrheit?
  3. Wie konnte es 2017 zu erneuten mutmaßl. Übergriffen durch Mitarbeiter kommen? Wie bewertet das AKO die Rolle des heutigen Provinzoberen Siebner als damaliger verantwortlichen Rektor in Sachen Prävention. Welche persönlichen Konsequenzen zieht er? Wer übernimmt Verantwortung bei den Jesuiten? Wann?
  4. Was hat der Jesuitenorden gelernt und umgesetzt? Welche Konsequenzen haben die Missbräuche durch Jesuiten für die Machtstrukturen im Orden (gehabt)? Was konkret hat der Jesuitenorden an Strukturen und Formen seines Zusammenlebens geändert, das nun geeignet wäre, Missbräuche zu verhindern. Welche Kontrollmechanismen wurden seit 2010 im Orden eingeführt?
  5. Was unterscheidet Ihre Position strukturell und organisatorisch von der Ihrer Vorgänger? Wie die Ihrer Ordensoberen zu denen derer Vorgänger? Wer kontrolliert Sie? Und warum sollte die Öffentlichkeit jetzt Ihrem Präventionsversprechen glauben? Seit Gründung der Schule waren Kinder und Jugendliche bei keinem Ihrer Vorgänger wirklich sicher. Was befähigt gerade Sie dazu, diese Sicherheit für Kinder und Jugendliche gegen mögliche Übergriffe durch Jesuiten und Mitarbeitende zu gewährleisten?
  6. Welche (persönlichen) Konsequenzen haben die verantwortlichen Oberen der letzten Jahrzehnte zu erwarten (Stichwort: IPS Studie zu Vertuschung und Versetzungen)? Wann benennt der Orden die Fehlleistungen seiner Oberen und stellt sie öffentlich richtig?
  7. Welche Maßnahmen oder Planungen hat das Aloisiuskolleg zur wissenschaftlichen Untersuchung von seelischer, körperlicher Gewalt und Suiziden am Aloisiuskolleg?
  8. Welche Maßnahmen oder Planungen hat das Aloisiuskolleg hinsichtlich eines „Erinnerungsortes“ an Gewalttaten durch Jesuiten und Mitarbeiter unternommen?
  9. Welche Maßnahmen oder Planungen hat das Aloisiuskolleg hinsichtlich des Friedhofes unternommen, auf dem mehrere Jesuiten liegen, die auch nach damaligen Maßstäben als Sexualstraftäter zu bewerten sind? Sie stören unseres Erachtens bis heute den Schulfrieden!
  10. Wann beenden Sie die Vermietung der Stella Rheni, einem Ort des hundertfachen Missbrauchs, für Tanz- und Vergnügungsveranstaltungen? Halten Sie das wirklich für eine angemessen Form Aufarbeitung im Jahr 2020? Haben Sie Respekt vor den Meinungen und Empfindungen von Betroffenen?
  11. Wann ehren Sie die Whistleblower des AKO aus Internat und AKO-PRO angemessen? Ohne diese Personen wäre Ihr Orden nicht gezwungen worden, sich der eigenen Unzulänglichkeit, ausgelebt auf Kosten von schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen, zu stellen.
  12. Wann entschuldigen sich die damals verantwortlichen Jesuiten oder der Orden heute bei denjenigen Schülern (nicht nur Missbrauchsopfer), deren Biografien unschuldig durch z.B. Änderung der Wahrnehmung des AKO von der Eliteschule zum Missbrauchsort „beschmutzt“ wurden. Welchen Ausgleich wollen Sie hier schaffen.
  13. Wann entschädigen Sie die Opfer, die durch sexuelle, körperliche und seelische Gewalt von Jesuiten und Mitarbeitern, aber gerade auch durch die Verantwortungslosigkeiten der Oberen häufig lebenslange Folgeschäden haben, angemessen?